Eine Vergiftung durch Anticholinergika kann durch die Aufnahme natürlicher oder synthetischer Produkte hervorgerufen werden, die Substanzen enthalten, die parasympatholytisch wirken. Das klinische Bild wird durch sympathische Effekte geprägt, die dann nicht mehr ausreichend vom Parasympathikus antagonisiert werden. Typische Symptome sind Tachykardie, Mydriasis und Harnretention, und bei zentral wirksamen Komponenten auch Halluzinationen, Bewusstseinstrübungen und Krampfanfälle. Die Diagnose basiert auf klinischen Befunden und einer detaillierten Anamnese, in der nach Möglichkeit das kausale Agens zu identifizieren ist.
Muskarinerge Acetylcholinrezeptoren finden sich in unterschiedlichsten Organen, z.B. im Herzen, in den Atemwegen, im Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt, aber auch im zentralen Nervensystem [1]. Sowohl cholinerg als auch anticholinerg wirksame Substanzen können an diesen metabotropen Rezeptoren angreifen, wobei eine Vergiftung durch Anticholinergika auf eine übermäßig starke Inhibition derselben zurückzuführen ist. Während der Sympathikus durch solche Substanzen, die spezifisch an den muskarinergen Acetylcholinrezeptor binden, nicht direkt beeinflusst wird, so führt der Wegfall des parasympathischen Antagonismus doch zu einem deutlichen, sympathischen Bild [1] [2] [3] [4].
Als Ursache des anticholinergen Syndroms kommt die bewusste oder unbewusste Aufnahmen signifikanter Mengen von Antagonisten muskarinerger Acetylcholinrezeptoren infrage, darunter Atropin und Scopolamin, Antihistaminika wie Diphenhydramin, trizyklische Antidepressiva, Antipsychotika und Loperamid [3] [4] [5]. Paradebeispiel für ein pflanzliches Produkt mit hohem Gehalt an Anticholinergika ist Atropa belladonna, die Tollkirsche, die dem Atropin zu seinem Namen verholfen hat. Die reife Frucht enthält bedeutende Mengen an Atropin und Scopolamin [6].
Unabhänig von der Ursache entwickelt der Patient Symptome wie Tachykardie und Arrythmie, Mydriasis, Harnretention, dazu Hyperthermie und trockene Schleimhäute aufgrund einer Reduktion der Speichel- und Drüsensekretion [1] [4] [5] [6] [7]. Einige Substanzen sind in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, und blockieren dann auch die Acetylcholinrezeptoren im Gehirn. Infolgedessen zeigt sich der Patient verwirrt, leidet an Halluzinationen und Psychosen sowie einer Bewusstseinstrübung, die bis hin zum Koma reichen kann [1] [4] [5] [6] [7]. Krampfanfälle werden ebenfalls regelmäßig beschrieben.
Der Verdacht auf eine Vergiftung durch Anticholinergika kommt auf, wenn ein Patient mit Symptomen vorstellig wird, die sich durch ein Überwiegen sympathisch vermittelter Effekte und Parasympatholyse erklären lassen. Dann ist im Patientengespräch zu klären, ob der Patient Medikamente einnimmt, die eine parasympatholytische Haupt- oder Nebenwirkung haben. Unter Umständen lässt der Allgemeinzustand und die Bewusstseinstrübung des Betroffenen eine detaillierte Anamnese nicht zu. Dann sind Dritte zu befragen. Das gilt natürlich auch für pädiatrische Patienten. Hier ist in Erfahrung zu bringen, ob das Kind möglicherweise Zugang zu den oben genannten Pharmaka, zu Tollkirschen oder anderen Produkten mit ähnlicher Wirkung hatte. In der Literatur sind zahlreiche Fälle gezielter und unbeabsichtiger Intoxikationen dokumentiert [2] [4] [5] [7] [8].
Labordiagnostische Untersuchungen sind zur Diagnose einer solchen Vergiftung nur von sehr beschränktem Wert, da die Imbalanz im vegetativen Nervensystem kaum Anomalien im Blutbild und in der Blutchemie nach sich zieht. In einigen Fällen lässt sich jedoch eine Leukozytose und Hyperglykämie feststellen [7] [8]. Vorausgesetzt, die aufgenommene Substanz wird renal ausgeschieden, können massenspektrometrische Urinuntersuchungen angestellt werden, um das kausale Agens nachzuweisen. Es ist jedoch ein konkreter Verdacht erforderlich, um zielgerichtet untersuchen zu können [4] [8].